(Text von Ernst Baldiger, publiziert im “Brückenbauer” vom 8.1.86)
Der Aargau hat seinen alten Ruf als Kulturkanton, Brugg seinen noch älteren als Prophetenstadt. Sie verdankt ihn den zahlreichen Geistlichen unter ihren Bürgern, die im alten Staat Bern, also auch im Berner Aargau, nach der mit harter, obrigkeitlicher Hand durchgesetzten Reformation die Seelsorge betreuten. Mehr als fünfzig Brugger Bürger waren zeitweise als Pfarrer tätig, um 1800 noch etwa dreissig, lauter Zöglinge der 1638 bis 1640 unter Schultheiss Hans Friedrich Effinger von Wildegg erbauten Lateinschule, hinter deren mit reichem Kunstschmuck versehener Fassade die Logopädie und das textile Werken logieren. Die Absolventen der Lateinschule wurden, soweit sie zum Pfarramt ausersehen waren, zum theologischen Weiterstudium an der 1528 in Bern errichteten Akademie vorbereitet. Nicht aus allen wurden “Propheten”, die von der Kanzel das Bibelwort verkündeten. Unter ihnen finden sich auch Ärzte, Juristen, um den jungen Kanton Aargau hochverdiente Staatsmänner, aber auch ein Bürger, der jenseits des grossen Wassers höchste militärische Würden erklomm: Konteradmiral Luiz Emilio Belart, der 1863 in Rio zur Welt gekommenen Sohn eines ausgewanderten Brugger Kaufmanns, dessen Vater der seinerseits bekannte und hochgeschätzte Brugger Arzt Dr. Johann Belart war.
Der übers grosse Wasser gezogenen Emil Belart schickte seine Söhne Luiz und Theodor an die heimische Lateinschule. Luiz kam als zwölfjähriger nach Brugg zurück, die bald als “Riobuben” stadtbekannten Belart-Junioren machten mit ihrer südamerikanischen Lebhaftigkeit nicht nur der Tante Sorgen, bei der sie wohnten, sondern auch den Lehrern der Lateinschule. Ihnen und den Bruggern blieben die Steiche der beiden noch lange in Erinnerung. Sie gewannen aber ihre alte Heimat und ihre Lebensart lieb, Luiz vor allem blieb mit den Belarts von Brugg in ständigem Briefwechsel, den er in tadellosem Deutsch führte, das er als Lateinschüler in der Heimatstadt mühelos gelernt hatte. Aus ihnen sprach immer neu eine fast verzehrende Sehnsucht, die geliebt Heimatstadt wieder zu sehen.
Für Luiz Emilio waren die grossen Meerfahrten zum prägenden Jugenderlebnis geworden, das in ihm den Wunsch weckte, in die Marine Brasiliens einzutreten, in der er Offizier und bald Kapitän wurde. Als solcher steuerte Belart um 1900 ein brasilianisches Schiff über den Südatlantik und durch die Strasse von Gibraltar nach Toulon, wo es nach französischem Vorbild umgebaut wurde. Die monatelange Wartezeit, während der sein Schiff in Toulon auf der Werft lag, nutzte Luiz Emilio Belart zu einem Abstecher in seine Heimatstadt, wo er seine Familienangehörigen wieder sah. Zurückgekehrt nach Brasilien, wo ihm das Bürgerrecht von Rio de Janeiro verliehen wurde, nahm Belart die letzten Stufen zum Rang des Oberbefehlshabers der Marine, als er seit 1925, obwohl ausländischer Herkunft, im Rang eines Konteradmirals mit Dreispitz, mit Auszeichnung die Flotte seiner Wahlheimat befehligte.
Ein schweres Augenleiden, das schliesslich zu fast völliger Erblindung führte, zwang Belart zum Uebertritt in die Marinereserve. Mit seinem Tod verlor die brasilianische Marine einen ihrer fähigsten Offiziere, der ihr fast vier Jahrzehnte gedient hatte. Luiz Emilio Belart erlebte noch die Genugtuung, dass seine beiden Söhne in die brasilianische Marine eintraten, in der der ältere bereits einen höheren Rang bekleidete.