Mein Vater Friedrich (Fritz) Karl Belart 1877-1946 (1136 3153)

Aus: Walter Belart (1136 31532), Erinnerungen 1997

Er war ein faszinierender Mensch. Geistig hoch beweglich und gebildet, kannte er alle Ups und Downs des Lebens. Diese spielten sich zwischen hochtrabenden Plänen von Häuserkäufen von Lugano bis Florenz ab und in tiefen finanziellen Sorgen. Das bekamen wir natürlich sehr wohl zu spüren und es war immer ein Abtasten, um was es gerade ging. Und für meine Mutter war es noch viel schlimmer. Er war belesen, polyglott und in der Geschichte des Orients sehr beschlagen.

 

Aber fangen wir von vorne an! Er wurde am 14. Dezember 1877 in Kadiköj am Marmerameer geboren und wuchs in einer betont schweizerischen Familie in Konstantinopel auf. Er und seine drei Geschwister nahmen aber bald den grosszügigen Levantiner Stil an und wurden später einmal als die Prinzen von Konstantinopel bezeichnet. Mit ihren Freunden zusammen ging es hoch her. Unter ihnen natürlich Tschentèr (Adolf Zehnder, der Vater unserer Moda). Sie ruderten über den Bosporus nach Babek zu den Schorrs und kauften sich schliesslich eine Segeljacht, die “Klimbim”. Zur gymnasialen Ausbildung wurden die beiden Buben in das mütterliche Bern geschickt. Dieser Stadt blieb mein Vater lebenslang verbunden. Und dort hatte er auch sehr viele Freunde. Nach dem Gymnasium wollte er Medizin studieren. Erstes Semester Montpellier, von dort erhielt sich der mediterrane Timbre seines Französisch. Weil sich aber sein älterer Bruder Hans weigerte, in das väterliche Geschäft einzutreten, wurde Fritz zurückgepfiffen. Er kam recht widerwillig und sass gar nicht gerne im Kontor, er tat es übrigens sein Leben lang nicht gerne.

 

Schon als junger Kaufmann musste er sich bewähren. Sein Paradestück war die Reise nach Zürich, wo er Unstimmigkeiten mit dem potenten Seidenhaus Abegg aus dem Weg räumen musste. Er tat das mit Bravour.

 

Zur alljährlichen Übung gehörte die Einkaufsreise ins Innere Anatoliens. Meist mit Pferdekutsche und zwei bewaffneten Leibwächtern. Einmal erlebte er etwas Schreckliches! Er fuhr übers Marmarameer, um persönlich eine Fracht Seidenkokons in Empfang zu nehmen. Doch siehe da, die Ladung war schon unterwegs – und die Kokons ausgeschlüpft! Auf tiefblauer See war das Schiff in eine weisse Schmetterlingswolke gehüllt. Herrlich, aber eine Katastrophe, weil die Ladung verloren war. Geschlüpfte Kokons kann man nicht mehr spinnen.

 

Nach dem Tod seines Vaters übernahm er selbst die Firma J. Belart-Lanz-Constantinople. Neben dem Seidenhandel betrieb er auch noch andere Geschäfte. So führte er die ersten Autos in der Türkei ein und verkaufte sie dem Serail. Es waren Benz- Gaggenau- Wagen. In seiner Firma hatte er auch ein solches Vehikel. Und noch ein kleines Detail: Als das Telefon in Konstantinopel eingeführt wurde, wollte er partout die No 1 bekommen. Leider war diese aber dem Serail reserviert, sodas er sich mit Constantinople No 6 begnügen musste. Das waren noch Zeiten! 1922 liquidierte er die Firma.

 

1920 reiste er in den Kaukasus um Seide einzukaufen. Dort traf es sich just dass die Bolschewiki die Macht übernahmen. Mein Vater war in Baku, Aserbaidschan, und merkte gleich, dass das Land reif zur Übergabe war. Und richtig, eines Morgens sass die rote Regierung an den Schlüsselstellen, ohne dass viel Aufhebens gemacht wurde. Einige Tage später kam aber die rote Armee und da war der Teufel los. Alles wurde eingesperrt mitsamt den moisten Europäern. Da machte sich mein Vater an die Arbeit. Weil der Schweizer Konsul ausser Landes war, liess er sich vom Konsul in Tiflis, Georgien, ein Beglaubigungsschreiben geben und wirkte damit als Schweizer Geschäftsträger. Er besuchte unter Lebensgefahr die Inhaftierten, brachte ihnen Essen und Raucherwaren und setzte sich für ihre Entlassung ein. Das dauerte einige Wochen. Als er in die Schweiz zurückkam, erstatte er dem politischen Departement in Bern Bericht und war sehr enttäuscht, dass man diesen ziemlich gelassen entgegennahm. Er war halt kein Diplomat.

 

In den Zwanzigerjahren leistete er sich noch einmal ein Büro an der Bundesgasse 16 in Bern. Die Arbeit verrichtete er meist allein, weil er sich mit den Bürodamen nicht vertrug. Das wart die Zeit der ersten Kunstseide, der Vistra, die sein Schwager, Dr. Adolf Kämpf, unser Papu, in den IG-Farben entwickelte. Er bediente damit viele Spinnereien. Zudem war er aber auch Verwaltungsrat bei Bosch in Stuttgart. Das gab ihm nicht nur rein beachtliches Einkommen, sondern erlaubte ihm auch zu reisen. Berlin war sein liebstes Ziel. Dort stieg er im Hotel Kaiserhof ab. Und von dort ging es dann nach Premnitz zu den Kämpfs, nach Bremen zu Tante Rosi, nach Celle zu Tiedemanns und schliesslich nach Offenburg zu Schorrs. In der Sonne bei Frau Schrimpf wurde dann gehörig gefestet. Auf diesen Reisen erstand er viele schöne Dinge, antike Möbel, Spiegel, Porzellan, usw. Diese deponierte er jeweils bei Freunden und Bekannten und führte eine ganze Liste der Deponate. Nach seinem Tod konnten wir manches Stück zurückrufen.

 

Und dazu noch eine Reminiszenz. Als ich heiratete, war mein Vater gerade in Kairo. Punkto Hochzeit liess er mich wursteln. Als er ein paar Tage vorher ankam, organisierte er alles um; nicht der Gemeindesaal sondern die grosse Kirche. Ein roter Teppich von der Strasse bis zum Traualtar und ein herrliches Bankett im Schloss Brestenberg. Kaviar und Champagner in Strömen – und für jede Dame ein orientalisches Schmuckstück unter der Serviette, eine kleine Überraschung.

 

Trotz aller Betriebsamkeit war mein Vater im Grunde genommen häuslich und schollenverbunden. Leider kam es im grossen Gartensaal des Berner Waldheims nur ganz selten zu lampiongeschmückten Festen. Dafür machte er sich him Garten zu schaffen. Er war ein Gärtner aus Passion, nahm Kurse und legte seinen Stolz in schnurgerade, seitlich präzis angeklopfte Beete. Als er schliesslich sein Heim verliess, bezog er erst einmal eine Wohnung mit Haushälterin am Zeltweg 74 in Zürich. Das paste ihm aber nicht lange. Nicht zuletzt aus fiskalischen Gründen verzichtete er fortan auf einen festen Wohnsitz und lebte nur noch in Hotels, mal da, mal dort. Ständige Adresse war das Hôtel de l’Ecu in Genf, doch war er viel auf Reisen, besonders in Florenz und Kairo. Seine Zeit füllte er mit Liebhabereien aus, mit literarischen Studien und mit Sammeln von Bildern. Er begeisterte sich für Proust und Balzac, deren immenser Wortschatz ihn beglückte. Er führte stets ein Wörterheftchen mit sich, aus deme r unterwegs memorierte. In Florenz belegte er kunstgeschichtliche Vorlesungen und diskutierte mit den Professoren. Überall stöberte er Bilder auf, und und wenn sie ihm “Prends-moi” sagten, kaufte er sie. Meist zu lächerlich billigen Preisen. So fand er einmal einen Géricault “Stiebende Rosse”, die sich dann aber leider als eine sehr gute Kopie erwiesen. So vergnüglich wie es den Anschein hatte, war die Sache aber doch nicht. Krise und Krieg  brachten mit Kursverlusten und Geldblockierungen sehr viele Sorgen. Er war ja ein Rentier und das war etwas ganz anderes als das heute staatlich beschützte Leben eines Rentners. Der Rentier musste sich immer auf Banken und Börsen informieren, um sein Vermögen zu erhalten und seinen Lebensunterhalt abzusichern. Und so war sein Leben aufreibend. Man sah ihn immer Kurse notieren und Gewinne und Verluste ausrechnen. Schliesslich kamen die Tage der Krankheit. Er war Diabetiker und bekam Augenblutungen. Trotz einer ganzen Batterie von Lupen aller Kaliber konnte er schliesslich die Welt nur noch mühsam und lückenhaft wahrnehmen. Er liess sich damals in Locarno nieder und wurde in der Clinica Santa Agnese von Schwester Clara Maria, der “Cara Maria”, und von Marguerite Belart betreut. Dort starb er an einem Hirnschlag.

 

War es wirklich sein Wunsch, in Konstantinopel beigesetzt zu werden? Hans besorgte das pflichtgetreu und brachte die Asche hinunter, wo sie nun bei Vaters Eltern auf dem Friedhof Feriköj ruht. Dort wird sie ewig bleiben, ewig, weil das Grab, der Boden, unser Eigentum ist.